Liebe Eltern, liebe Gäste, liebe Kollegen und vor allem natürlich: liebe Abiturienten
Ihr Motto heute Abend ist: the last 90´s. Laut Internet nennt man Sie die Generation Z, die Generation des Wandels. Die letzten aus dem letzten Jahrhundert verlassen uns heute.
Als Sie geboren wurden, kurz nach Dolly, dem ersten Klonschaf, stand der Bundestag kurz vor dem Umzug nach Berlin. Sie zogen zu Hause ein, doch man konnte noch keine Babybilder von Ihnen ins Facebook stellen und auch keine „likes“ erhalten. Wie haben Ihre Eltern das bloß überlebt? Es gab zwar schon Internet und auch die ersten verpönten, monströsen Handys, das eher seltene, belächelte Utensil aller Wichtigtuer, doch irgendwie lebten wir noch im analogen Urwald. Es war damals, kurz nach der Steinzeit, als Menschen noch miteinander redeten, als Fotos noch nicht der reinen, öffentlichen Selbstdarstellung dienten und als es noch Intimität und Geheimnisse gab, die wenn überhaupt nur Dr. Sommer von der Bravo lüften konnte.
Die Nachricht Ihrer Geburt wurde vermutlich noch über eine Telefonzelle in der Nähe des Krankenhauses weitergegeben und bei Amazon, das gerade an den Start ging, konnten Ihre Eltern bereits Erziehungsratgeber bestellen – die allerdings noch in DM bezahlt werden mussten.
Aufgewachsen sind sie mit Tamagotchis und Gameboy und genascht wurde nicht Twix sondern Raider. Vegan, lactose- oder glutenfrei hat damals noch keine Sau interessiert und bei manchen von Ihnen ist das bis heute so geblieben. So schallte es über die Flure gern mal „Ich geh Döner“ oder „Ich geh Pizza!“. Dies war nicht nur ein Zeugnis Ihres erlesenen Ernährungsplans sondern auch der Sprachgewandtheit, die Sie mit Ihrem Reifezeugnis erworben haben.
Ja, ganze Sätze oder lange Wörter waren für Sie eine Herausforderung. Vor allen Dingen am Montag Morgen und Freitag Mittag. Wortmeldungen wurden auf Twitterlänge reduziert und aus dem englischen „you“ wurde in Aufsätzen gern mal nur „u“. Entschuldigungen und rosa Zettel wurden eher stichwortmäßig abgegeben – gern auch mal für Tage an denen Sie gar nicht gefehlt haben oder praktischer Weise gleich ganz ohne Datum.
Doch Fehlzeiten kamen erst später. Als Sie am 15. September 2014 die Oberstufe betraten, war die Motivation noch groß. Eifrig tauchten Sie in all die neuen Fächer ein, lernten Ihre Lehrer, Ihre Mitschüler (damals noch 90 an der Zahl) und Ihre Paten kennen, begannen mit Spanisch, paukten Mathe und Geschichte, entdeckten die Naturwissenschaften und bissen sich an BWL die Zähne aus – und zwar so sehr, dass man einigen wohl den Tipp gab, doch lieber Schafhirte als Kaufmann zu werden.
Einige waren sehr ehrgeizig, sehr begabt und gut im Lernen, anderen sollte man heute fast einen Preis vergeben für die einfallsreichsten Spickzettel. Besonders bekannt geworden im Lehrerzimmer ist ein originalgetreues Getränkeetikett auf der Limoflasche, das statt der üblichen kleingedruckten Zutaten die abgefragten Spanischvokabeln auflistete. Ja, einfallsreich ist sie, unsere Generation Z, wenn es darauf ankommt. Auch später im Hörverstehenstest als an einer Stelle zu lesen war: Tränengasattacke greift an und konzentriert sich auf Plastik im Ozean.
Zunächst aber stellten Sie beim Einführungstag Regeln des guten Miteinanders auf. Diese gerieten leider in der 11B zunehmend in Vergessenheit. Die Klasse wurde im zweiten Halbjahr stiller und stiller, und ich machte mir große Sorgen um Sie. Erst als die ersten uns verließen konnte ich das Rätsel lösen: Online tobte untereinander ein heftiger Mobbing-Krieg, der schlimme Ausmaße annahm. Nur mit viel Mühe fanden wir in wochenlanger Kleinarbeit da wieder heraus.
Ja, die Generation Z wie Zuckerberg, die gemeinsam mit Facebook und WhatsApp groß wurde, die als „Native Internets“ statt mit Lego wohl lieber mit Bits und Bytes spielte, diese Generation diskutiert nicht offen und direkt, sie leidet lieber leise und fatal digital. Vielleicht hätte meine B da in der A und in der C etwas lernen können, denn da ging es eher lautstark zur Sache, sei es nun immer wieder gegeneinander oder in der berühmten Fensterfrage. Glücklich sind die, die darüber streiten können, ob das Fenster nun auf oder zu sein soll, denn in unseren alten Gemäuern ging so manches Fenster gar nicht erst auf, mancher Beamer oder manche Heizung streikte und so manches Zimmer ließ sich nicht verdunkeln.
Gut, wenn man dann die immer gleichen vier Wände mal verlassen und auf große und kleine Reisen gehen kann. Sei es nach Tschechien, oder ins Praktikum, nach Schwäbisch Hall ins Schulmuseum oder nach Stuttgart ins Deutsch-Amerikanische Institut, nach Finnland oder nach Indien. Viele von Ihnen, vor allem unsere „Internationalen“ haben Ihre Zeit bei uns sehr aktiv genutzt, um im Ausland neue Eindrücke und Freunde zu gewinnen und den kulturellen Horizont zu erweitern. Fast immer lief es harmonisch und positiv; das spricht vor allem für Sie und Ihre Aufgeschlossenheit. Und überhaupt für die netten und sympathischen 70 Abiturienten, die wir heute verabschieden. Aber gelegentlich kann es auch schon mal knirschen und Enttäuschungen geben, denn das deutsche Weltbild ist nicht überall gleich und wir sollten das in einer immer globaler und doch immer kleiner werdenden Welt und in einer Zeit der großen, krisengeschüttelten Völkerwanderungen auch nicht erwarten oder zum Maß aller Dinge machen wollen. Nichts hat uns das besser gelehrt als das Theaterstück „Krieg – stell dir vor es wäre hier“, das ich mit meiner 12B zu Beginn der Jahrgangsstufe besuchte.
Ja, da war sie, die Jahrgangsstufe! Der Welpenbonus – wie es einer von Ihnen mal formulierte – war nun vorbei. Die Oberstufenberater Heiko Schmitt und „Seyfi“ hatten Sie am Kursberatungsabend ja schon vorgewarnt: Ab jetzt zählt jeder Punkt. Bei einigen – vor allem in unserer, ich zitiere Sie: Eliteklasse – hat das auch super geklappt. In den beiden anderen Klassen…. nun ja. Ist ja auch schwierig, wenn man erst am Ende von 13 mitbekommt, dass der Unterricht eigentlich um 8:00 Uhr beginnt oder wenn man auch jetzt noch Räume im Treppenhaus suchen muss oder wenn draußen – besonders für den Strafzettelkönig der A-Klasse – der Kampf um die letzten illegalen Parkplätze tobt oder wenn man durch die Tür zur Nachbarklasse ständig abgelenkt ist, oder wenn man sich lieber gegenseitig die Haare schneidet oder wenn man ganz einfach, ich zitiere, „klinisch tot“ ist. Schwierig mit den Noten wird es auch, wenn man den Spanischunterricht gar nicht erst besucht und den Spanischlehrer dann aber dummerweise anschließend in der Stadt trifft.
Doch auch unsere A und B begann irgendwann dann doch lieber zu lernen, spätestens im Kreuzle. Etwa als die Clowns Deutschland erschreckten, da erschreckte meine Klasse mich plötzlich mit Wortmeldungen. Meine gemütliche Zeit der Selbstgespräche war vorbei. (Gott sei Dank).
Doch genug der Ironie. Das haben Sie nicht verdient, denn Sie engagierten sich sehr wohl. Vielleicht nicht immer im Unterricht, doch dafür auf anderen Gebieten. Letzte Woche bei den mündlichen Prüfungen gab es ein solides Unterstützungsteam aus allen drei Klassen, dass bei denen, die noch bangen mussten fast immer da war, bereit zum trösten oder bejubeln. Es war schön diesen Zusammenhalt zu sehen. Viele von Ihnen waren engagierte Paten oder Ansprechpartner für unsere neue VABO-Flüchtlingsklasse. Die C-Klasse versorgte uns Lehrer regelmäßig mit Kuchenspenden und mit einem tollen neuen Patenfilm für kommende Generationen, die B-Klasse fungierte drei Jahre als Guides bei der Hausmesse und bereitete kleine Leckerbissen vor für den Internationalen Tag und die A-Klasse sorgte mit ihrem 4er-Security-Team, das sich regelmäßig mitsamt Stühlen vor der Klassenzimmertür postierte, für Sicherheit im WG-Flur.
In der B-Klasse gab es eher ein solides Dreierteam, das gemeinsam kam, gemeinsam die Pausen verbrachte und schließlich sogar gemeinsam bei der praktischen Sportprüfung verletzt war.
Doch halt, ich bin noch gar nicht bei der Prüfung. Bevor es richtig ernst wurde, kam mit Canterbury und London nochmal ein echter Höhepunkt. Schon die Abfahrt war aufregend. Aber als Jana dann auch endlich da war, konnte es glücklich vereint und voller Vorfreude losgehen mit unserer 14stündigen 5-Länder-Reise. Wir besuchten London und die Downingstreet 10 genau an dem Tag, als David Cameron sie verließ – und als die Briten sich kurz darauf mit ihrem Brexit aus der EU verabschiedeten. Doch dieses denkwürdige Ereignis oder auch die vielen schönen englischen Landschaften, durch die wir auf dem Weg nach Hastings fuhren, bekamen viele von Ihnen gar nicht mit. Zu sehr waren Sie noch vom nächtlichen „I like the Cha-Cha“ geprägt, so dass wir tagsüber eher Zombies im Bus hatten, die die Vorhänge und die Ohren geschlossen hielten.
Insgesamt hat aber alles toll geklappt: das stramme Programm, das abendliche Kochen, Ihr bezahltes Putzteam aus Ihren eigenen Reihen und sogar das auf der Fähre verschollen geglaubte Handy und der dann im Bus verschollene Schüler tauchten wieder auf. Es hat Spaß gemacht mit Ihnen! Sie waren eine Supertruppe! Und ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich auch beim Begleitlehrerteam und besonders bei meiner Mitbewohnerin Frau Eckstein für ihre große Hilfe bei der Organisation, für ihre ansteckende Gelassenheit (tägliches Abendzitat: „Das klappt schon!“ ) und ihren Orientierungssinn (Zitat: „I know me here out“).
Aus einem Londoner Schaufenster ist mir ein Plakat in Erinnerung geblieben: What is a city but the people? Nun, das lässt sich übertragen: What is a school but the people? Es sind nicht die sich wandelnden Medien, so sensationell und fesselnd sie auch sein mögen, es sind nicht die sich ändernden Konzepte und Inhalte, die gute oder schlechte technische Ausstattung und es sind noch nicht einmal die Noten, die Schule ausmachen. Es sind vor allem die Schüler und die Lehrer, die eine Schule prägen und ihr eine Seele und ein Gesicht geben. Es sind die Menschen, die uns in Erinnerung bleiben, an denen wir uns reiben und weiterentwickeln. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Lehrern bedanken, die Ihnen geholfen haben, heute hier zu sein.
Liebe last 90s, liebe Generation des Wandels, die sie schon sehr bald in einer voll digitalisierten Berufswelt die Älteren wie Schafhirten die Schafe vor sich hertreiben werden, ich möchte Ihnen nun endlich zu Ihrem Abitur herzlich gratulieren. Wir konnten drei Jahre ihres persönlichen Wandels miterleben und verabschieden heute stolz lauter tolle, junge Persönlichkeiten, die wir ein ganz kleines bisschen mitgeprägt und zum Erfolg geführt haben – wenn auch noch nicht so radikal digital sondern eher mit Worten und Ermahnungen, mit Trost und Gesprächen, mit Tafel und Kreide und Diskussionen, mit Klassenarbeiten und Hausaufgaben und mit gemeinsam verbrachter Zeit. Mein herzlicher Dank an Sie, liebe Abiturienten für die schönen drei Jahre mit Ihnen!
Liebe Gäste, die 90er gehen, die Nullen bleiben. Bevor Sie uns aber endgültig verlassen, wollen wir nun die Besten unter Ihnen ehren. Das wird in diesem Jahr recht schnell gehen, denn wir haben ja nur eine Eliteklasse. Ich wünsche Ihnen, liebe last 90s, dass Sie Ihre Schulzeit und die Menschen des alten Jahrhunderts, ganz besonders Ihre Eltern, aber auch Ihre Lehrer und Ihre Mitschüler, in liebevoller Erinnerung behalten. Nehmen Sie das Beste aus Ihrem friedlichen, relativ sorglosen Geburtsjahrzehnt mit, interessieren Sie sich für die Welt und den rasanten Wandel und sorgen Sie von nun an mit dafür, dass auch das neue Jahrhundert ein schönes wird.
Viel Glück dabei und privat und beruflich alles alles Gute für Sie!
(Kerstin Horn, Abteilungsleiterin und Klassenlehrerin WG13B)