Abiball 2022

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ASS-Poker

Kerstin Horn

Liebe Abiturienten, liebe Eltern, Kollegen und Gäste,

die Pokerregeln sind ja gar nicht so leicht. So manch einer begreift sie nie. Von unseren 88 Spielern, die am 11. September 2019 an den Start gingen, haben 34 früher oder später zu hoch gepokert und uns vorzeitig verlassen. 5 weitere waren bis zum Ende im Spiel und verlassen uns mit der vorläufigen Fachhochschulreife. Heute können wir deshalb nur die historisch kleine Zahl von 49 Abiturienten verabschieden. Diese 49 Spieler haben es aber nun geschafft!

Liebe Abiturienten, ich möchte Ihnen dazu ganz herzlich gratulieren! Aus den Raupen – wie einer Ihrer Deutschlehrer zu sagen pflegte – sind nun Schmetterlinge geworden, heute Abend ganz besonders. 13 Jahre Schule liegen nun hinter Ihnen. Die letzten 3 Schuljahre möchte ich in aller Kürze in Erinnerung rufen und mich dabei ein wenig auf Ihr Motto beziehen.

Als Sie bei uns anfingen, war die Welt noch eine andere. Es gab zwar schon Internet und Ihr geliebtes Handy, aber wir lebten in einem kriegsfreien Europa ohne Pandemie und ohne Berührungsängste. So waren Sie der letzte Jahrgang, der in den Genuss einer großen Begrüßung in der Aula kam, in der Ihnen unser Schulleiter Herr Arweiler die Spielregeln erklärte, die Sie dann im Klassenzimmer und im Paten-Café etwas vertieften.

Das Spiel begann. Die Dealer, Ihre Lehrer, teilten die Karten aus. Einige von Ihnen lernten das digitale Pokerspiel auf Tablets. Nach dem üblichen Kurswahl- Hin und Her überlegten sie sich, dem vorgegebenen Einsatz zu folgen, also mitzugehen oder ihn sogar zu erhöhen. Die ersten – beim Poker nennt man sie Big Blinds oder Small Blinds – mussten allerdings früh passen. Doch die, die im Spiel blieben, lernten fleißig BWL, Mathe und Chemie und was Sie sonst noch so in Ihrer Hand hielten. Das war nicht immer spannend und von Erfolg gekrönt. Und gelegentlich wurden auch mal Klassenarbeiten an die Wand gepfeffert oder jemand vor die Tür gestellt. Böse Zungen munkeln, dass dies bereits in der allerersten Englischstunde geschah. Nun, das lag sicher am Lehrer...

Manchmal war es auch schlicht interessanter mit Lehrern über Eistee zu diskutieren oder sie nach ihrem Liebesleben zu befragen. Doch die meisten Lehrer setzten hier ein Pokerface auf.

Das erste Halbjahr war geschafft. Inzwischen hatten Sie sich an die Treppen gewöhnt – auch wenn da gelegentlich mal jemand herunterunterfiel. Sie waren Hausmesse-Guides, Wettkönige, Kuchenspender, tolle, engagierte Schülersprecher, später Berater beim Online-Infoabend, sie besuchten ein Improvisationstheater in der Aula zum Thema Alkohol, erklärten den Sprachentag zum Schwänztag und beschlossen, dass der Sportunterricht eigentlich auch später beginnen kann.

Als uns dann die ersten Coronabilder aus China erreichten mit menschenleeren Straßen in Riesenmetropolen, da war das einfach nur Kino und weit weg. Bei uns ging der Alltag weiter. Die eine schlief im BWL-Unterricht ein, die andere fragte mich, ob sie statt zum Unterricht auch zum Kiefernorthopäden darf. So unterschiedlich waren unsere Spieler.

Nach den Faschingsferien gab es die ersten Coronafälle. Als bei uns noch Karneval gefeiert wurde, setzte in Italien schon der Notstand ein. Frau Merkel bat uns die Lage ernst zu nehmen. Das taten wir: Wir kauften alle wie verrückt Klopapier während in Frankreich Wein und Kondome knapp wurden. Ja, da konnten Sie kulturelle Unterschiede lernen – wenn sie schon nie ins Ausland durften. Das tat mir leid für Sie! In einer Zeit in der wir sonst unsere Austauschpartner aus Tschechien, Finnland und Indien erwarten und auch unsere Schüler auf Reisen gehen, sollten wir Kontakte meiden und zu Hause bleiben. Ihre Lehrer waren nun nebenbei mit Fortbildungen beschäftigt, denn das Spiel ging ab April online weiter. Mein Dank an dieser Stelle an alle Kollegen, darunter auch unsere Oberstufenberaterin Frau Klaiber, die uns fit gemacht haben für diese Situation. 

Im Mai kehrten Sie kurz zurück und nun begann in den Schulen die Zeit des Lüftens und des Abstandes, der Quarantäne, der Ausfälle, der Schnelltests, des Hin und Hers von Präsenz- und Fernunterricht, der Ferngruppen und Präsenzgruppen, der verbotenen Gruppenarbeiten, der Beschäftigung in zwei Räumen und vor allem: die Zeit der Masken. Wir alle wurden zu Corona-genervten Pokerfaces. Ihre Klassenlehrer hatten nun enorm zu tun. Sie richteten Teams ein, meldeten Erkrankte, organisierten Tablets, koordinierten Klassenarbeiten aller Lehrer, gaben Coronabeschlüsse weiter, kämpften mit Entschuldigungen wie „mein Internet ging nicht“ oder „meine Kamera ist kaputt“ und überwachten das Testen und später den Impfstatus.  Mein Dank an dieser Stelle an Ihre Klassenlehrer Frau Beitner, herr Kornmann und Frau Klaiber.

In der Politik begann der Poker um Coronamaßnahmen, die sich gefühlt alle 14 Tage änderten und etwas später auch der Poker um die Impfstoffe. Während in Amerika nach George Floyd die Black-Lives-Matter Bewegung Aufsehen erregte, gingen hierzulande Menschen auf die Straße, die sich in Ihrer Freiheit eingeschränkt fühlten, weil man nun aufeinander Rücksicht nehmen musste. Beim Poker spricht man von „Hole Cards“ und Gemeinschaftskarten. Die Deutung im übertragenen Sinn überlasse ich an dieser Stelle Ihnen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau Sie da waren und wann sie im Fernunterricht waren. Uns fehlt viel gemeinsame Zeit, gemeinsames Erleben, gemeinsame Erinnerungen. So manch einem von Ihnen fehlt die Feier des 18. Geburtstages und uns allen die Highlights des Schuljahres 20/21. Die 12. Klasse war von Hin und Her geprägt. Die Planung von Unterricht wurde schwieriger und die Organisation von Klassenarbeiten eine Herausforderung. Viele Klassenarbeiten fielen auch einfach aus. Einige von Ihnen haben diese Zeit dennoch super überstanden und große Fortschritte gemacht. Die Asse der ASS nutzten die Chance der individuellen Förderung und der Ruhe und Konzentration daheim beim Fernunterricht, während andere im Fernunterricht nach der Anmeldung gern weiterschliefen oder gar komplett verloren gingen und nicht mehr erreichbar waren. Diese Schüler fanden nicht mehr in den Alltag zurück. Selten hatten wir so viele Wiederholer wie nach der Klasse 12. Das Schuljahr endete still aber immerhin mit Tripsdrill und einem sensationellen Wanderausflug.

Nach Hochwasserkatastrophe, Hitzerekorden in Kanada, vielen Corona-Toten und dem Einmarsch der Taliban in Kabul, marschierten Sie in die 3. Setzrunde, Ihr letztes Schuljahr. Inzwischen gab es einen neuen Flughafen in Berlin (nach nur 9 Jahren Verspätung), einen neuen Präsidenten und genügend Impfstoff für alle, den kaum noch jemand brauchte oder wollte. Die 4. Welle winkte schon, aber Omikron ließ uns inzwischen schon relativ kalt. Kalt ließ Sie aber nicht der Stundenplan. Wie bitte, ein Lehrerwechsel? Lautstarke Empörung im Chemiekurs. Solange bis das schließlich vom Tisch war. Spannend war auch, wer uns künftig regieren wird und ob es noch eine Klassenfahrt und einen Abiball geben darf oder nicht.

Inzwischen hatten Sie viele Punkte gesammelt, Ihre schriftlichen Fächer gewählt und ab jetzt hieß es nochmal volle Kraft voraus. Wir erlebten bei Ihnen jetzt viel Ernsthaftigkeit, Präsenz und gute Noten. Es ging gut voran, auch wenn manche das laute Lesen etwas verlernt hatten. Ich hoffte, wir könnten Ihnen bei all den ausgefallenen Highlights noch etwas Besonderes bieten und freute mich über das Engagement Ihrer Deutschlehrer, die eine Theatergruppe an die Schule holten. Doch Faust wurde zum Faustschlag ins Gesicht! Eine Klasse wollte partout nicht, zur Freude einer anderen!

In großen Schritten ging es nun dem Showdown entgegen. Vorher wurden wir aber noch Zeuge eines ganz anderen Showdowns. Seit dem 24.2. steht die Ukraine unter Beschuss im russischen Angriffskrieg. Fassungslos sahen wir schreckliche Bilder und wieder viele Opfer. Doch Sie nahmen das schon nicht mehr ganz so arg wahr, denn während bei uns Empörung und Kriegssorgen hochkamen und die Sprit- und Lebensmittelpreise emporschossen, stieg bei Ihnen die Prüfungsangst. Im Gegensatz zu Boris Becker, der zu hoch gepokert hatte, pokerten Sie aber nicht sondern lernten fleißig. Ob im Crash-Kurs, in der Schule oder zu Hause. Mit Sicherheit gaben aber auch Ihre Lehrer alles, um nochmal das Beste aus Ihnen rauszuholen. Mein Dank an dieser Stelle an Ihre Lehrer, die glaube ich alle einen tollen Job gemacht haben.

Nach den ersten schriftlichen Prüfungen sah ich glückliche Gesichter, doch dann kam Mathe! Blankes Entsetzen begegnete mir, schon frühmorgens beim Blick in die Gesichter Ihrer Mathelehrer, und erst recht, als Sie mir im Treppenhaus entgegen schlichen. Tränen, Wut und Enttäuschung im Turm 4. Das gab Aufruhr hinter den Kulissen, denn nicht nur Ihnen ging es so.

Danach nochmal kurz Schule, nochmal kurz mündliche Themen basteln, zur Foto-session mit den neuen Abi-T-Shirts, die letzten Noten besprechen und dann ging es erstmal nach Frankfurt auf den Main Tower, zur Stadtrundfahrt, in die Karaoke-Bar und vor allem wie ich gehört habe in die Trinkhalle. Na, dann Prost! Prost, liebe Queen, zu 70 Jahren Kronjubiläum aber vor allem Prost auf Ihr Abi! Heute können wir endlich anstoßen auf unseren krisengeplagten tollen Jahrgang. Lauter nette, erfolgreiche junge Leute, die uns – auch wenn wir sie Dank Corona selten gesehen haben – viel Freude bereitet haben. Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben. Sie alle hatten ein gutes Händchen beim ASS-Pokerspiel. Gleich kommt unser Showdown und gleich schauen wir mal, wer von Ihnen nun das beste Blatt hatte und ob sogar ein Royal Flush dabei war.

Für Ihre Zukunft wünsche ich Ihnen, dass Sie so bleiben wie Sie sind und sich von Krisen und Sorgen nicht komplett die Lebensfreude verderben lassen. Machen Sie aus jeder Situation das Beste. Ich hoffe, dass Sie immer ein Ass im Ärmel haben, also Menschen wie Ihre Eltern und Freunde, die Sie unterstützen, trösten und Ihnen in Zeiten der Isolation nah sind. Noch eine schöne Feier, gute Erinnerungen an Ihre Schulzeit und beruflich und privat von Herzen alles Gute für Sie!